Den Schwangerschaftsabbruch endlich entkriminalisieren

Auch eine Kommission der Bundesregierung kam zuletzt zu dem Schluss: Abbrüche in der Frühphase der Schwangerschaft sollten rechtmäßig sein. Über Konsequenzen und die Lage in Bonn spricht Stéphanie Berrut von der Beratungsstelle pro familia. Die Fragen stellte Claudia Falk, sozialpolitische Sprecherin der Linksfraktion.

Um außerdem das Thema stärker in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken und nach Lösungen zu suchen, wie die Situation in Bonn verbessert werden kann, ist die Versorgungslage in Bonn bei Schwangerschaftsabbrüchen auf Initiative der Linksfraktion durch einen Koalitionsantrag auf der Tagesordnung im nächsten Bonner Sozialausschuss am 20. Februar.

Falk: Im Jahr 2023 wurden deutschlandweit 106.218 Schwangerschaftsabbrüche gezählt. Sind wir von Straftäterinnen umringt?

Berrut: Die Paragrafen 218ff regeln im Strafgesetzbuch den Schwangerschaftsabbruch ohne Indikation – in Nachbarschaft zu Paragrafen, in denen es sonst um Mord und Totschlag geht. Der Tatbestand des § 218 ist jedoch nicht verwirklicht, wenn die Schwangere und die Ärztin/der Arzt bestimmte Bedingungen erfüllen: ein Abbruch vor der 12. Woche, nach Beratung und Wartezeit und nicht gegen den Willen der Frau. Dennoch hat die Kriminalisierung relevante Konsequenzen, weshalb sich pro familia für eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs einsetzt. Das aktuelle strafrechtliche Verbot ist verfassungs-, europa- und völkerrechtlich nicht haltbar.

Falk: Nicht alle Schwangeren kommen also aus freien Stücken. Was bedeutet das für die Beratung? 

BerrutBei diesen Frauen*/Paaren erlebe ich häufig einen Rechtfertigungsdruck. Sie schildern schon einleitend ihre gesamte Lebenssituation. Manchen wird bei ihren Recherchen deutlich, wie aufwendig es in Deutschland ist, einen Abbruch durchführen zu lassen. Sie kommen, um bereits einen Teil der Schritte zu erfüllen und dann in Ruhe zu überlegen, ob sie die Schwangerschaft fortsetzen möchten oder nicht. Falls nicht, wollen sie dann – auch aus ethischen Gründen – zügig handeln.  

Falk: Der Arbeitskreis der Bonner Schwangerschaftskonfliktberatungsstellen hat letztes Jahr gemeinsam mit dem Gesundheitsamt einen Fragebogen an gynäkologische Praxen in Bonn verschickt. Was sind die wichtigsten Ergebnisse?

BerrutDie zentralen Ergebnisse decken sich mit denen anderer Kommunen und der Elsa-Studie: Bei Frauenärzt*innen, die keine Abbrüche anbieten, liegt es meist nicht an befürchteten Anfeindungen von Abtreibungsgegner*innen, sondern eher an organisatorischen Fragen wie dem zusätzlichen Arbeitsaufwand und dem Mangel an räumlichen Möglichkeiten. Seltener geht es um die Vergütung.  

Falk: Was wäre nötig, um die gesundheitliche Versorgung sowohl mit medikamentösen als auch operativen Eingriffen für Schwangere sicherzustellen?

BerrutDie Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs verhindert die Übernahme der Kosten durch die Krankenkassen, die Integration in medizinische Ausbildungsgänge, die Verpflichtung öffentlich geförderter Krankenhäuser zur Durchführung, die rechtliche Sicherheit für Ärzt*innen. Eine Neuregelung außerhalb des Strafgesetzbuchs wäre daher ein erster, wichtiger Schritt. Aktuell bieten zwei Ärzte in Bonn Abbrüche an. Sie versorgen aber nicht nur Bonnerinnen, sondern auch viele Menschen aus dem gesamten Umland. Engpässe machen sich immer wieder bemerkbar. Konkret ist daher nötig, dass mehr Ärzt*innen sich beteiligen, zumindest beim medikamentösen Abbruch, der auch von Hausärzt*innen begleitet werden kann. Kreative Lösungen entstehen in Nachbarkommunen, wo Praxen anderer Fachrichtungen ihre OP-Bereiche in ungenutzten Zeiträumen Gynäkolog*innen zur Verfügung stellen. 

Falk: Welche Maßnahmen sollte die Kommune ergreifen?  

BerrutPolitik und öffentlicher Gesundheitsdienst müssen die Versorgung mit medizinisch sicheren Schwangerschaftsabbrüchen als Teil ihrer Verantwortung sehen. Sie können eine koordinierende Funktion übernehmen. Unsere gemeinsame Fragebogenaktion war ein wichtiger Schritt. Viele Ärzt*innen wären bereit, Abbrüche durchzuführen, wenn äußere Barrieren überwunden würden. Als Element kommunaler Lösungen wird diskutiert, die Infrastruktur (Räumlichkeiten, Verwaltungsaufgaben) zur Verfügung zu stellen, innerhalb derer ein Team von engagierten Ärzt*innen im Wechsel Schwangerschaftsabbrüche anbietet. Dies würde den Arbeitsaufwand deutlich reduzieren.

Abbildung: Die Kritischen Mediziner*innen und pro familia Bonn organisieren regelmäßig sog. Papaya-Workshops, in denen der Schwangerschaftsabbruch mit Hilfe der Frucht geübt wird. Die Workshops tragen dazu bei, für ein Thema zu sensibilisieren, das in der Ausbildung der Studierenden sonst häufig zu kurz kommt. (Bildrechte: pro familia Bonn)